x

Neuste Artikel

Artikel mit Video



Anzeige

Gast-Beitrag von Felix Schneuwly: Die Kostenbremse funktioniert nur in den AVM

ExpertInnen: Felix Schneuwly

Serge Gaillard irrt sich in seinem Kommentar vom 9. November in der Handelszeitung gleich mehrfach mit seinem Lob auf die Kostenbremse-Initiative der Mitte. Wer das EDI übernimmt, muss mit intelligenten bzw. schlanken KVG-Reformen die alternativen Versicherungsmodelle (AVM) stärken, denn eine Kostenbremse funktioniert nur in AVM, welche Effizienz und Qualität anstatt Mengen belohnen.

Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte comparis.ch

 

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich

Die Schuldenbremse ist ein gutes Instrument, der Vergleich mit der Kostenbremse hinkt aber gewaltig. Die Schuldenbremse gibt im Gegensatz zur Kostenbremse Handlungsspielraum auf der Einnahmen- und Ausgabenseite. Zum Glück sind die Krankenkassen im Gegensatz zum Bund oder zur Einheitskasse «Invalidenversicherung» nicht verschuldet.

Der Vergleich mit dem AHV-Fonds ist schon etwas besser, hat aber auch einen fundamentalen Überlegungsfehler. Wie der Fonds bei der AHV wirken die Reserven bei den Krankenkassen. Wenn diese auf dem Minimum sind wie jetzt, weil Bundespräsident Alain Berset – und vor ihm auch Ruth Dreifuss und Pascal Couchepin – die Kassen zum Reservenabbau gezwungen hat, gibt es Prämienschocks. Die AHV bekommt nicht mehr Beiträge, aber mehr Geld via Mehrwertsteuer. Leistungskürzungen, wie sie Serge Gaillard von Ärztinnen, Spitäler etc. verlangt, gibt es in der AHV nicht, aber Rentenerhöhungen.

 

Prämienschwankungen 1996/97 bis 2023/24 und vermeidbare Prämienschocks (Quelle: Daten BAG, Darstellung Fridolin Marty, economiesuisse, und Felix Schneuwly, comparis.ch)

Der Vergleich einer Kostenbremse mit dem AHV-Fonds ist also insofern falsch, als die Mehrwertsteuerbeiträge einfach erhöht werden, wenn der Fonds leer ist. Bei den Krankenkassen passt der Bund seinen Anteil an den Prämienverbilligungen dem Kosten- bzw. Prämienvolumen an, aber viele Kantone passen ihren Anteil nicht an. Sie kürzen die Prämienverbilligungen sogar, bis sie das Bundesgericht wie den Kanton Luzern zurückpfeift.


Gaillards abenteuerliche Regulierungsfolgeabschätzung

Geradezu naiv ist Gaillards Annahme und folglich auch die der Kostenbremse-Initianten bzw. des Preisüberwachers, der auch Mitte-Mitglied ist. Gaillard schreibt, dass die Initiative dem Bund und den Kantonen die Verantwortung für die Kostenentwicklung gibt: «Diese legen Ziele für das Wachstum der Kosten fest. Es gibt so etwas wie ein Budget. Diese Ziele veranlassen die Leistungserbringer, Prioritäten zu setzen. Sie können am besten beurteilen, welche Ausgaben nötig sind und welche nur getätigt werden, weil es Fehlanreize gibt.» Das funktioniert nur, wenn auf beiden Seiten Unternehmen (Krankenkassen und medizinische Leistungserbringer) wie bei den AVM und nicht Verbände bzw. Bund oder Kantone als Vertragspartner bzw. Tarifgenehmigungsbehörden sitzen. Werden Budgetziele von Verbänden, Bund oder Kantonen festgelegt, führt das dazu, dass sich einzelne Leistungserbringer unterschiedlich verhalten. Arzt A oder Spital X setzt trotz Budgetdeckel auf Mengenwachstum und nimmt Tarifkürzungen im Folgejahr in Kauf. Ärztin B oder Spital Y hält sich an die Budgetvorgaben, behandelt Ende Jahr gratis (Defizit) oder weist Patient:innen ab (Rationierung). Staatlich festgelegte oder von Verbänden vereinbarte Kostenziele bremsen entweder das Kostenwachstum nicht oder bremsen es durch Tarifkürzungen als Kollektivstrafe für alle betroffenen Leistungserbringer nur auf der Basis von Mengen, ohne die Qualität der erbrachten Leistungen zu berücksichtigen.

Kostenziele bzw. Kostenbremsen müssen deshalb unbedingt zwischen Unternehmen (Krankenversicherer und medizinische Leistungserbringer) vereinbart werden und sowohl Effizienz als auch Qualität belohnen, nicht bloss Mengen. In guten AVM, die mehr regeln als bloss Gatekeeping, wird das schon jetzt gemacht. Dank des verbesserten Risikoausgleichs gibt es immer mehr davon. Mehr Handlungsspielraum im KVG für AVM-Vertragspartner würde die integrierte medizinische Versorgung auch für teure, chronische Patient:innen noch attraktiver machen.

AVM werden noch attraktiver, wenn die Versicherer den Versicherten auch Mehrjahresverträge als Alternative zu den Einjahresverträgen anbieten dürfen, wenn das Teamwork bei den medizinischen Leistungserbringern gefördert und der Einsatz der Fachleute nicht unnötig durch ihre Diplome, abrechenbaren Tarife und den Leistungskatalog eingeschränkt wird und wenn sich die Vergütung nach den Grundsätzen von Value Based Healthcare (VBHC) richtet. Letzteres ist nur möglich, wenn a) die Qualitätsbestimmungen im KVG massiv vereinfacht und auf Qualitätswettewerb mit Qualitätstransparenz ausgerichtet wird und b) die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen so geklärt werden. Die Kantone müssen ihre gesundheitspolizeiliche Verantwortung wahrnehmen und garantieren, dass keine Gesundheitsfachleute bzw. Institutionen auf dem Markt sind, welche die Patientensicherheit gefährden, egal wer die Leistungen bezahlt. Der Bund muss dafür sorgen, dass nur medizinische Leistungserbringer zu Lasten der Sozialversicherungen abrechnen dürfen, die eine minimale Qualitätstransparenz schaffen, welche Laien auch verstehen.


Fazit

Die Vergleiche der Kostenbremse mit der Schuldenbremse und mit dem AHV-Fonds hinken gewaltig. Besser als eine Kostenbremse in der Verfassung sind mehr Spielraum für AVM und eine massive Vereinfachung der Qualitätsbestimmungen im KVG.

  • Die Idee, dass mit der Kostenbremse automatisch überflüssige und schlechte Medizin aus dem System verschwinden würde, ist sehr naiv, weil primär nicht lukrative, aber wichtige Medizin in der Grundversorgung (Hausarztmedizin, Spitex, Physio-, Psychotherapie etc.) den Budgetdeckeln zum Opfer fallen würden und nicht die lukrative Medizin (Onkologie, Orthopädie, Radiologie etc.).
  • Die Drohkulisse mit der Kostenbremse-Initiative und die vermeidbaren Prämienschocks haben Bundesrat und Parlament zu vielen KVG-Reformen veranlasst, die eine Bürokratieflut ausgelöst haben, ohne den Kostenanstieg messbar zu bremsen.
  • In allen Industrieländern steigen die Gesundheitsausgaben ähnlich. Der BIP-Anteil staatlich stark gesteuerter Systeme ist nicht in jedem Fall tiefer. So war die Schweiz lange hinter den USA weltweit an zweiter Stelle. Nun haben uns Deutschland, Japan, Österreich und Grossbritannien überholt, weil a) unsere Wirtschaft stärker wächst und b) obwohl auch wir mit schlechter Regulierung nicht Kosten gespart, sondern bloss die Bürokratiekosten aufgebläht haben. Deutschland, Japan und Österreich haben uns überholt, weil ihr Wirtschaftswachstum schwächer als unseres ist. Die Briten und Britinnen waren lange stolz auf ihren staatlichen National Health Service (NHS). Jetzt ist er kaputtgespart und immer Menschen sterben, weil sie dringend notwendige Medizin nicht rechtzeitig bekommen. Wir sind auf dem Besten Weg mit immer mehr falscher Regulierung in Richtung NHS.
  • Eine sinnvolle Umsetzung der Kostenbremse ist im aktuellen System des regulierten Wettbewerbs gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG) nur in den AVM mit der entsprechenden unternehmerischen Verantwortung zielführend. Anstatt noch mehr Bürokratie und Steuerung durch den Staat oder durch Verbände braucht es mehr Handlungsspielraum für die AVM-Vertragspartner.
  • Gesundheitsminister Alain Berset und Mitte-Links-Mehrheiten im Parlament haben aber in den letzten Jahren nicht die AVM gestärkt (Ausnahme ist der verbesserte Risikoausgleich), sondern bloss staatliche Planwirtschaft und Bürokratie aufgebläht. Damit wird der Fachkräftemangel verschärft, weil Gesundheitsfachleute frustriert zu früh aus ihren gelernten Berufen aussteigen. Wer auch immer von Bundespräsident Berset das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) übernimmt, muss den gestörten Dialog mit den Akteuren des Gesundheitswesens wieder in Gang bringen, mit intelligenten bzw. schlanken KVG-Reformen die AVM stärken und im Parlament dafür Mehrheiten bekommen.

 

Unsere Beiträge bieten Ihnen hochwertige und verlässliche Informationen. Dafür stehen namhafte Expertinnen und Experten, sowie die journalistische Sorgfalt eines erfahrenen TV-Teams.

ExpertInnen:
Felix Schneuwly, Head of Public Affairs, Krankenkassenexperte comparis.ch
Beitrag erstellt:
15.11.2023
Letzte Überprüfung:
15.11.2023

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert